22.07.2021 | Balanceakt zwischen Stromproduktion und Umweltschutz
Die Schweizer Wasserkraft ist sauber und erneuerbar – und dennoch umstritten. Denn Stromproduktion aus Wasserkraft geht nicht ohne gewisse Eingriffe in die Natur. Umweltingenieurin Nadia Semadeni sorgt mit ihrem Team dafür, dass die Eingriffe im gesetzlich gesteckten Rahmen sind.
«Wir sind das Umweltgewissen der Wasserkraft von Axpo», bringt es Nadia Semadeni auf den Punkt. Zusammen mit dem Team «Umwelt/Gewässerschutzgesetz» sorgt sie dafür, dass die Wasserkraftwerke von Axpo die Umweltvorgaben einhalten. Aktuell gibt vor allem das Gewässerschutzgesetz zu tun – das «GeScheGe», wie Semadeni es nennt. Mit 120 Sanierungsprojekten in der ganzen Schweiz beschäftigt sich das Team um Semadeni. «Und vor jedem Projekt steht die Frage der Verhältnismässigkeit: Wie gewichtet man Stromproduktion gegen Umweltschutz? «Geht es um einen Kraftwerksausbau, gibt es immer Befürworter und Gegner», erklärt Semadeni. «Bei der ökologischen Sanierung der Wasserkraft bezüglich Gewässerschutzgesetz ziehen aber alle am selben Strang. Der Dialog mit den Umweltschutzorganisationen ist spannend und angenehm.»
Laufwasserkraft: Fische und Geschiebe
Die Laufwasserkraftwerke entlang der Schweizer Flüsse haben vor allem im Bereich der Fischgängigkeit Sanierungsbedarf. Dort wo die Fische einst ungehindert durchschwimmen konnten, ist jetzt eine Barriere – das Kraftwerk. Nach der Sanierung sollen Fische die Schweizer Laufwasserkraftwerke flussauf- und abwärts passieren können – möglichst ohne Verletzung. So genannte Fischaufstiegshilfen gibt es bereits heute bei vielen Wasserkraftwerken. «Aber gerade bei Grossanlagen ist der Fischabstieg technisch noch nicht gelöst», erklärt Nadia Semadeni. «Da sind wir noch im Bereich der Forschung und am Testen von Möglichkeiten.»
Die Laufwasserkraftwerke müssen nicht nur für Fische, sondern auch für Geschiebe passierbar werden – also Sand und weitere Feststoffe, die an der Flusssohle mittransportiert werden und dort für einen intakten Lebensraum sorgen. «Das würden wir erreichen, indem wir beispielsweise die Staubereiche von Flusskraftwerken absenken würden. So würden jedoch viele Flachwasserbereiche trockengelegt – was wiederum schlecht für die Umwelt ist.»
Speicherkraftwerke: Schwall/Sunk
Ganz andere Auswirkungen auf die Umwelt haben Speicherkraftwerke. In Zeiten mit hohem Strombedarf wird in kurzer Zeit viel Wasser aus den Stauseen für die Stromproduktion turbiniert und in die Flüsse geleitet. Die Wassermengen führen in den Flüssen zu einem schnellen Anstieg der Pegel. Diese ständigen Schwankungen (genannt Schwall/Sunk) beeinträchtigen die Organismen in den Flüssen. Gemäss Gewässerschutzgesetz müssen auch diese Auswirkungen eliminiert werden. «Das kann zum Beispiel über neue Ausgleichsbecken bei den Wasserrückgaben geschehen», erklärt Umweltingenieurin Semadeni. In den Ausgleichsbecken wird das viele Wasser zurückgehalten und später nach und nach wieder dem Fluss zugeführt. «Allerdings brauchen Ausgleichsbecken viel Platz, was wiederum häufig auf Widerstand stösst».
Sportlicher Zeitplan bis 2030
Die ökologische Sanierung der Wasserkraft wird das Team um Nadia Semadeni noch lang beschäftigen. «Vorgabe ist, dass bei allen Projekten bis 2030 der Spatenstich erfolgt ist.» Ein sportlicher Zeitplan, gibt Semadeni zu, zumal schweizerweit erst rund 6 Prozent der Sanierungsprojekte umgesetzt sind. «Das hat auch mit einem gewissen Bearbeitungsstau beim Bundesamt für Umwelt zu tun, welches die Projekte bewilligt.» Nadia Semadeni stellt klar: «Die Branche will diesen Auftrag erfüllen. Wir nehmen diese Sache extrem ernst und haben die entsprechenden Ressourcen aufgebaut.»
Nadia Semadeni muss sich also keine Sorgen machen, dass ihrem Team dereinst die Arbeit ausgehen könnte. «Wasserkraft und Umweltschutz bleibt ein Spannungsfeld. Und mit der Biodiversitätsinitiative steht bereits die nächste Vorlage ins Haus, welche der Wasserkraft neue Umweltauflagen bescheren könnte.»