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18.06.2019 | Die Anfänge der Kernenergie in der Schweiz

«Der unabhängigste und sicherste Energielieferant»

1945 erschüttern Atombomben die Welt. Keine zwanzig Jahre später begeistern sich in der Schweiz Bundesrat und der Bund für Naturschutz für den Entschluss der NOK (heute Axpo), das erste Kernkraftwerk der Schweiz zu bauen. Die Erwartungen in die friedliche Nutzung der Atomenergie sind geradezu euphorisch.

Seit 1969 produziert auf der Aarehalbinsel Beznau das erste Kernkraftwerk der Schweiz sicher und zuverlässig Strom. Block 1 und der baugleiche Block 2, der 1971 ans Netz ging, kosteten damals je 350 Millionen Franken. Seither investierte Axpo (früher NOK) zusätzlich über zweieinhalb Milliarden Franken, um das KKB (Kernkraftwerk Beznau) auf dem modernsten Stand zu halten und den Forderungen nach höchstmöglicher Sicherheit durch die Schweizer Behörden sowie den internationalen Standards zu entsprechen. Solange diese Sicherheit gewährt ist, so lange bleibt das KKB am Netz und produziert weiterhin wertvolle Bandenergie. Danach wird es voraussichtlich als zweites Kernkraftwerk in der Schweiz nach Mühleberg zurückgebaut. Ein stilles Ende für eine Technologie, die in den 1960er-Jahren von Linken und Naturschützern begeistert gefeiert wurde.

Vom Fluch zum Segen

Der Wandel vom Fluch zum Segen vollzog sich rasant: Auf die Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki im letzten Kriegsjahr 1945 folgte an der Weltausstellung in Brüssel 1958 bereits eine Leistungsschau zur friedlichen Nutzung der Atomenergie. Sie war im über 100 Meter hohen Atomium, dem Expo-Wahrzeichen, untergebracht und spiegelte die Hoffnung von Forschung und Politik wider: Mit der Kernkraft hätte man eine unerschöpfliche und billige, ja kostenlose Energiequelle gefunden, die für immer und ewig die Energieprobleme der Menschheit überwinden würde.

Der erste Kommandoraum von Beznau 1 Ende der 1960er-Jahre.

Die Schweizer Elektrizitätswirtschaft liess sich von der Euphorie vorerst nicht anstecken. In den frühen Nachkriegsjahren setzte sie weiter auf den Ausbau der Wasserkraft und begann – um das wiederkehrende Problem des mangelnden Winterstroms zu lösen – zusätzliche thermische Kraftwerke zu planen. Die erste und zugleich grösste mit Öl befeuerte Gasturbinenanlage von Europa ging bereits 1948 in der Beznau ans Netz. Es war die NOK, die sich als Pionierin hervortat und damit, so die Absicht, den Beginn einer neuen Ära markierte. Da die Technik der thermischen Kraftwerke ausgereift war, waren präzise Kostenberechnungen möglich und damit die Wirtschaftlichkeit kalkulierbar. Dieser Kraftwerktyp sei deshalb die Lösung, so die Elektrizitätsbranche, um den kräftig steigenden Stromhunger im Land zu stillen, und nicht die unausgereifte Atomtechnologie.

«Der Bundesrat war überzeugt, dass es für die Schweiz eine Schicksals- und Zukunftsfrage sei, mit der Atomforschung Schritt zu halten..»

Der Bundesrat hingegen war überzeugt, dass es für die Schweiz eine Schicksals- und Zukunftsfrage sei, mit der Atomforschung Schritt zu halten. Die Kernenergie könnte nämlich die gefürchtete Auslandsabhängigkeit verringern und gleichzeitig einen neuen Markt für die Schweizer Maschinen und Apparateindustrie erschliessen, etwa durch die Entwicklung eigener Reaktoren, Messgeräte oder Reaktorbestandteile. Der Bund bewilligte Millionen an Forschungsgeldern und liess in den Alpen fieberhaft, wenn auch erfolglos, nach Uran suchen.

Schlüsselfertige US-Kernkraftwerke

In Würenlingen, einen Steinwurf von Beznau entfernt, gingen im Eidgenössischen Institut für Reaktorforschung (dem heutigen Paul Scherrer Institut, PSI) immerhin zwei Forschungsreaktoren in Betrieb. Und der sozialdemokratische Bundesrat Willy Spühler machte weiter Druck. An einer Versammlung des Schweizerischen Elektrotechnischen Vereins (SEV) im Jahre 1963 beschwor er vor der Branche den Nutzen der Atomenergie für die Schweiz: «Damit könnte es unserer Elektrizitätswirtschaft gelingen, auch für die Zukunft den bisher berechtigten Stolz zu wahren, der sicherste und von allen ausländischen Einwirkungen unabhängigste Lieferant von Energie zu sein.» 

«An einer Versammlung des Schweizerischen Elektrotechnischen Vereins im Jahre 1963 beschwor Bundesrat Willy Spühler den Nutzen der Atomenergie für die Schweiz.»

Zu diesem Zeitpunkt hatte die Elektrizitätswirtschaft ihre Vorbehalte gegen die Atomkraft bereits etwas abgelegt. Thermische Kraftwerke, so hatte sie erkannt, lösten Widerstand bei den Naturschützern aus, desgleichen neue Wasserkraftwerke. Zudem waren die Kosten für den Bau grosser Speicherkraftwerke in den Alpen mittlerweile explodiert. Die grossen Schweizer Überlandwerke spannten deshalb mit der Schweizer Maschinenindustrie zusammen und planten in Lucens zwischen Yverdon und Bulle ein schweizerisches Versuchsatomkraftwerk.

Blick in den Reaktor mit dem offenen Druckgefäss für die Brennelemente.
Euphorie der Kernenergie

Einmal mehr war es aber die NOK, die handelte. Als die US-amerikanischen Firmen General Electric und Westinghouse schlüsselfertige Atomkraftwerke am Markt anboten, packte die NOK die Chance: Anfang 1964 gab sie bekannt, in der Beznau einen Druckwasserreaktor von Westinghouse zu bauen. Der Bundesrat war hocherfreut und der Schweizerische Bund für Naturschutz (SBN) bekräftigte: «Der Naturschutzrat (...) unterstützt die vom Bundesrat mehrfach zum Ausdruck gebrachte und vom SBN seit Jahren vertretene Auffassung, direkt den Schritt zur Gewinnung von Atomenergie zu tun ...» Auch die Branche reagierte nun euphorisch: Ende 1964 sicherte sich die Elektrowatt bei Leibstadt Land für ein Reaktorprojekt. Zwischen 1965 und 1972 wurden die Projekte Verbois bei Genf und Kaiseraugst angekündigt, 1967 Beznau 2, 1968 ein zweites BKW-Projekt in Graben, 1969 ein Atel-Projekt in Gösgen, 1971 ein drittes NOK-Projekt im St. Galler Rheintal und 1972 ein CKW-Projekt im luzernischen Inwil. Der Glaube an Fortschritt und Wachstum war auf dem Höhepunkt, die Wirtschaft boomte, der erste Mensch setzte einen Fuss auf den Mond und nur wenige Monate später produzierte Beznau 1 den ersten Schweizer Atomstrom.

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